Stellungnahme zur Qualitätssicherung von schulexternen Angeboten zur Unterstützung des schulischen Unterrichts


Die Plattform Sexuelle Bildung, als Vereinigung zahlreicher sexualpädagogischer Vereine, Fachstellen und Expert*innen, begrüßt grundsätzlich, dass nach den bereits drei Jahre zurückliegenden Debatten um die Arbeit des Vereins teenStars und der Ankündigung eines “Akkreditierungsverfahrens” nun ein konkreter Verordnungsentwurf sowie ein ausführlicher Forschungsbericht zur Diskussion veröffentlicht wurde

Wir begrüßen, dass die Verordnung die Bedeutung externer Angebote für qualitätsvolle schulische Sexualpädagogik anerkennt, welche die Arbeit von Lehrer*innen unterstützen und ergänzen. 

Aus unserer Sicht bleibt der vorliegende Entwurf jedoch weit hinter den Möglichkeiten einer umfassenden Qualitätssicherung und -entwicklung schulischer Sexualpädagogik, wie sie etwa vom umfassenden Forschungsbericht (Kapella/Mazal 2022) angeführt werden und auch von der Plattform Sexuelle Bildung bereits mehrfach gefordert wurden (siehe offener Brief an BM Faßmann vom 14.5.2019) zurück.

Er konzentriert sich im Wesentlichen lediglich auf die administrative Erfassung von schulexternen Angeboten und räumt die Möglichkeit von Begutachtungen ein, deren Anlass, Häufigkeit und Konsequenzen jedoch dem Entwurf nicht klar zu entnehmen sind. 

Es bleibt damit zweifelhaft, ob mit dem vorliegenden Entwurf dem Grundsatzerlass Sexualpädagogik widersprechende Angebote, wie jene des Anlassfalls teenStar in Zukunft verhindert werden können und ob die Geschäftsstelle in der momentanen Fassung tatsächlich zu einer Qualitätssicherung beiträgt. 

Mit dem vorliegenden Statement wollen wir zunächst die Ziele darlegen, auf die ein derartiger Erlass zur Qualitätssicherung professioneller Sexualpädagogik eigentlich ausgerichtet sein sollte.

Im Anschluss folgen positive Aspekte, Kritikpunkte, Nachfragen und Vorschläge zum Entwurf. 

Aus unserer Sicht sollte der Erlass darauf ausgerichtet sein, Heranwachsenden den bestmöglichen Zugang zu sexueller Bildung, welche den internationalen Standards und den Kinder- und Menschenrechten entspricht, zu ermöglichen.

Im Konkreten sollte er:

  1. verhindern, dass Heranwachsende in der Schule mit sexualpädagogischen Angeboten konfrontiert sind, die dem Grundsatzerlass Sexualpädagogik, den UN-Kinderrechtskonventionen sowie der UN-Behindertenrechtskonvention, den sexuellen und reproduktiven Rechten und diversen Antidiskriminierungsgesetzgebungen widersprechen, indem sie Heranwachsenden mit diskriminierenden Zugängen begegnen, angstmachende bzw. sexualitätsfeindliche Botschaften verbreiten oder wichtige Informationen zu Verhütung, Schwangerschaftsabbruch etc. vorenthalten. 
  2. Lehrer*innen, Schulleitungen bzw. Schulen als Gesamtes in der Gestaltung schulischer Sexualpädagogik unterstützen, etwa durch gut aufbereitete Information über und Finanzierung von externen sexualpädagogischen Angeboten für Schüler*innen (Workshop, Projekttage, Beratung…), durch Beratung und Fortbildung für Lehrer*innen und andere in Schulen tätige Personen bei sexualpädagogischen Fragen etc.; sowie durch Begleitung bei der Entwicklung von Konzepten zu Sexualpädagogik und Kinderschutz u.A.m.
  3. die vielfältigen schulexternen Anbieter*innen, die ihre Angebote aufgrund des offensichtlichen Bedarfs externer Unterstützung mit viel Expertise und Engagement aufgebaut haben, dabei unterstützen, professionelle Arbeit in der schulischen Sexualpädagogik zu leisten (etwa durch ausreichende Finanzierung, Qualitätsentwicklungsmaßnahmen etc.)

Kritikpunkte, Nachfragen und Vorschläge zum Entwurf

Besetzung von Fachstelle und Board

Sachlich nicht nachvollziehbar erscheint die im §1 formulierte Übernahme der Geschäftsstelle durch eine Behörde im humanitären Bereich. Wir schlagen vor, dass die Geschäftsstelle an einer Einrichtung angesiedelt wird, die (sexual)pädagogische Expertise sowie Expertise in der Qualitätssicherung und -entwicklung von Bildungseinrichtungen besitzt. 

Wir begrüßen grundsätzlich die Einrichtung eines Boards, sehen aber Anpassungsbedarf bei der Besetzung, den Kompetenzen und den Aufgaben des Boards. 

So erscheint es für uns unerlässlich, dass mindestens zwei der Personen im Board über explizit sexualpädagogische Expertise verfügen und das Feld der österreichischen Sexualpädagogik kennen.

Wir schlagen vor, dass die Plattform Sexuelle Bildung als Vertretung sexualpädagogischer Vereine, Fachstellen und Expert*innen in den Prozess der Bestellung des Boards einbezogen wird, etwa indem die  Plattform Sexuelle Bildung das Vorschlags- bzw. Nominierungsrecht für zwei Personen im Board erhält (ähnlich wie Senate der Universitäten Personen für den Universitätsrat nominieren). Dies sollten nachvollziehbarerweise Personen sein, die nicht selbst als Träger sexualpädagogischer Angebote gelistet werden wollen. 

Als wichtig erachten wir es auch, dass die Person(en), die in der Geschäftsstelle das Board unterstützt, keine rein administrative Kraft ist, sondern auch über inhaltliche Expertise verfügt/verfügen, sodass die unterstützenden Tätigkeiten immer mit inhaltlichen Aspekten verknüpft sind. 

Inhaltliche Verantwortung soll beim Board liegen

Aus unserer Sicht muss das Board – als per Verordnung eingesetztes Gremium – die Verantwortung für inhaltliche Entscheidungen übernehmen. Wir begrüßen die Möglichkeit, dass das Board bei Bedarf Gutachten einholen kann, die Abwägung der Gutachten und die Letztentscheidung muss jedoch beim Board bleiben (dies ist auch in anderen Bereichen das übliche und sinnvolle Vorgehen). So ist es auch nicht notwendig, dass Gutachter*innen geschützt werden, indem sie zusammen Gutachten verfassen. Im Sinne des Pluralitätsgebots ist es vielmehr sinnvoll, dass zwei Gutachter*innen je eigene Gutachten vorlegen, die das Board zur Entscheidungsfindung nützen kann.

Weisungsfreiheit der Geschäftsstelle

Die Einrichtung einer weisungsfreien Geschäftsstelle sehen wir ambivalent. Einerseits hat die Weisungsfreiheit Vorteile im Sinne professioneller Spielräume, zum anderen erweckt sie auch den Eindruck, dass das Ministerium sich einer vielleicht unangenehmen Verantwortung entziehen will, wie beispielsweise zum Anlassfall teenStar klare Position zu beziehen. 

Ablauf der Qualitätssicherung

Wir begrüßen, dass durch die Geschäftsstelle Schulbehörden und Schulen bei der Beurteilung der fachlichen und didaktischen Qualität schulexterner Angebote zu unterstützt werden sollen, wie in § 2 ausgeführt. Die Formulierung, dass dies durch die Bereitstellung von Unterlagen zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung geschehen soll, lässt aber noch viele Fragen nach der Art der Information, die bereitgestellt werden soll, offen.

Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, Schulen und Lehrer*innen insofern zu entlasten, dass ihnen klar nachvollziehbare Orientierungs- und Entscheidungshilfen zur Auswahl externer Vereine geboten werden und dass jene Angebote, die dem Grundsatzerlass sowie anderen Gesetzen widersprechen, nicht an Schulen zugelassen werden. Ob und wie dies geschehen soll, ist dem aktuellen Entwurf nicht zu entnehmen. 

Unklar bleibt in auch, in welcher Weise Feedbackmeldungen über sexualpädagogische Angebote von Lehrer*innen, Schüler*innen sowie Eltern und Erziehungsberechtigten nicht nur aufgenommen, sondern auch aktiv und methodisch überlegt eingeholt und ausgewertet werden (etwa in Form von Begleitforschung oder der Etablierung von Feedbackverfahren, die in Abstimmung mit den beteiligten Akteur*innen entwickelt werden, um ihre Sinnhaftigkeit und Durchführbarkeit zu gewährleisten). 

Verkürztes Konzept von Qualitätssicherung

Zu unserem Bedauern setzt der Entwurf – entgegen der Empfehlungen des Forschungsberichts – nur bei der Erfassung und Begutachtung von externen Angeboten an und verabsäumt weitere zentrale Maßnahmen der Qualitätssicherung und -entwicklung zu etablieren, wie den Aufbau sexualpädagogischer Kompetenz bei schulischen Akteur*innen durch Beratung, Fortbildung sowie die Zusammenarbeit von externen Sexualpädagog*innen und Lehrer*innen durch begleitete Konzeptentwicklung, Finanzierung von Qualitätsentwicklungsmaßnahmen und Begleitforschung u.A.m.

Conclusio

Wir, die Plattform Sexuelle Bildung, als parteipolitisch ungebundene Vereinigung von zahlreichen sexualpädagogischen Vereinen, Fachstellen und Expert*innen, begrüßen, dass Fragen der Qualitätssicherung von schulischer Sexualpädagogik öffentlich diskutiert und bildungspolitisch aufgegriffen werden.

Wir schätzen den derzeitigen Entwurf jedoch als verkürzt und teilweise problematisch ein und bedauern, dass die differenzierten Vorschläge des Forschungsbericht (Kapella/Mazal 2022) nicht entsprechend beachtet und eingearbeitet wurden. Wir sehen die Gefahr, dass die neue Verordnung eine zahnlose Maßnahme wird, die viel administrativen Aufwand mit sich bringt, ohne jedoch Schulen oder Sexualpädagog*innen in der Qualitätssicherung schulischer Sexualpädagogik tatsächlich zu unterstützen. Daher plädieren wir für eine kleine und große Lösung in der Qualitätssicherung der Sexuellen Bildung, wie sie im Forschungsbericht vorgesehen ist, sowie insgesamt für umfassendere, nachhaltigere und nachvollziehbare Maßnahmen entsprechend des Forschungsberichts, um die Professionalisierung der schulischen Sexualpädagogik voranzubringen.

Wien, am 30.11.2022

Die Plattform Sexuelle Bildung


Zusätzlich unterstützende Vereine:

AMSA – Österreich, Austrian Medical Students’ Association

achtung°Liebe

ÖGF – Österreichische Gesellschaft für Familienplanung

Fachstelle Selbstlaut gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Fachstelle für Suchtprävention NÖ

FrauenGesundheitsZentrum Salzburg

Verein sprungbrett für mädchen* und junge frauen*

Aids Hilfe Steiermark

gefühls*echt – für einen unaufgeregten Zugang zu sexueller Bildung

ÖGS – Österreichische Gesellschaft für Sexualwissenschaften

Fachstelle Selbstbewusst

Verein Amazone

Verein COURAGE – Österreichisches Institut für Beziehungs- und Sexualforschung

Projekt unzensiert!

Vielma – Vielfältige Materialien

Verein „pasiofeel – Lust & Liebe im Gespräch“

Sexologisch

Unterstützende Einzelpersonen:

Mag. Sabine Ziegelwanger

Cornelia Lindner, MA

Elif Gül, MA

Mag. Stefanie Rappersberger

Christoph Humnig

Mag. Verena Krall, Psychologin

Mag. Martina Fürpass, Geschäftsführerin Verein sprungbrett

Mag. Anna-Melina Hartmann, Klinische und Gesundheitspsychologin

Cécile Undreiner, Sexualpädagogin, Beratungsstelle Act4Respect gegen sexuelle

Belästigung am Arbeitsplatz

Dsain Sabine Maurer, Beratung

Lux – Lukas Lenz

Mag. Stephan Hloch

Mag. Johannes Wahala, Präsident der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für

Sexualwissenschaften und Leiter der Beratungsstellen COURAGE

Mag.a (FH) Christiane Hintermann, Sexualpädagogik Kärnten

Dr. Clemens Hammer, Psychotherapeut

Stefanie Grübl, Sexualpädagogin

Anna Wolf, Sexualpädagogin

Gerald Mangol

Mag.a Gabriele Rothuber

Kelly Kosel MA

Mag. Michaela Fassl – Sexuelle Bildung mit lust:faktor

Mag. Sandra Gathmann, Psychotherapeutin

Mag. Oberhuber Rebecca

Babsi Geml, Psychotherapeutin

Dipl.Päd.in Ulrike Roitzheim

Lena Jahn

Julia Tajariol