#50 Jahre Grundsatzerlass

50 Jahre Sexualpädagogik an Schulen

Das fächerübergreifende Unterrichtsprinzip Sexualerziehung/Sexualpädagogik wird diesen Herbst 50 Jahre alt.

Am 24. November 1970 veröffentlichte das Bundesministerium für Unterricht und Kunst den Erlass „Sexualerziehung in den Schulen“ (Rundschreiben Nr. 193/1970). Damit wurden Schulen erstmals explizit beauftragt, Sexualität zum Thema zu machen, und nicht nur biologisches Wissen, sondern auch „Lebenshilfe“ (ebd.) anzubieten.

Sexualerziehung wird seit damals als Unterrichtsprinzip geführt. Das bedeutet, dass sie nicht einem einzelnen Gegenstand zugeordnet ist, sondern in vielen Unterrichtsgegenständen und unter Nutzung von Querverbindungen fächerübergreifend behandelt werden soll.

Aktuell gilt für Schulen der Grundsatzerlass Sexualpädagogik aus dem Jahr 2015. Dieser orientiert sich an internationalen Definitionen und Qualitätskriterien, wie den „Standards für die Sexualaufklärung in Europa“ (WHO-Regionalbüro für Europa & BZgA, 2011) und den sexuellen und reproduktiven Menschenrechten der IPPF (1994 bzw. 2008). Sexualität wird hier als positives, dem Menschen innewohnendes Potential verstanden. Schulische Sexualpädagogik soll sich nach dem Prinzip der Gleichstellung der Geschlechter sowie der Vielfalt der Lebensformen ausrichten und soll Basiskompetenzen vermitteln, die notwendig sind, um Sexualität und Beziehungen verantwortungsvoll und selbstbestimmt zu gestalten.

Neben den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten, die in der Sexualerziehung eine zentrale Rolle für Kinder und Jugendliche spielen, soll Sexualität also auch von Lehrer*innen unterschiedlicher Gegenstände altersangemessen aufgegriffen und behandelt werden. Das ist deshalb so wichtig, weil Sexualität als ganzheitliches Lebensthema unterschiedlichste Aspekte hat, und für die sexuelle Entwicklung über die gesamte Schulzeit hinweg vielfältiges Wissen und Räume der Auseinandersetzung benötigt werden.

Viele Schulen arbeiten mit externen Vereinen zusammen, und geben Schüler*innen so die Möglichkeit, mit sexualpädagogischen Expert*innen Fragen zu besprechen, die sie ihren Lehrer*innen nicht stellen wollen würden. Die Anerkennung der Wichtigkeit externer Sexualpädagogik zeigt auch die aktuelle Erstellung eines Akkreditierungsverfahren im Auftrag des Bundesministeriums, das zur Qualitätssicherung sexualpädagogischer Angebote durch externe Vereine beitragen soll. So schreibt das BMBF in einem Brief an sexualpädagogische Vereine und Expert*innen im Februar 2020: „Das (BMBWF) schätzt die wertvollen Beiträge von externen Expertinnen und Experten für einen reichhaltigen, lebensnahen und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaften basierenden Unterricht. Die Qualitätssicherung ist dabei natürlich ein wichtiges Anliegen, gerade auch im Bereich der Sexualpädagogik“.

Zwar gab es im Sommer 2019 im Zuge eines Entschließungsantrags den Versuch, externe sexualpädagogische Expert*innen aus Schulen zu verbannen – dieser war jedoch nicht bindend, und wurde vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung nicht aufgegriffen. Es ist Schulen somit auch weiterhin erlaubt und auch erwünscht, mit sexualpädagogischen Vereinen und externen Expert*innen zusammenzuarbeiten, wenn diese sich an den Grundsätzen des Grundsatzerlasses orientieren.

Da externe Expert*innen jedoch nur zeitlich begrenzt an Schulen kommen, braucht es für sexuelle Bildung ebenso sexualpädagogisches Wissen und Engagement auf Seiten der Lehrer*innen. Um Lehrpersonen in dieser Aufgabe zu stärken, wird im Grundsatzerlass die wesentliche Rolle von Aus- und Weiterbildungen für Lehrpersonen betont, die es in Zukunft auszubauen gilt. Sexualpädagogisches Grundlagenwissen ist dabei nicht nur für jene zentral, die Sexualität im Unterricht behandeln, sondern ist für alle Lehrpersonen von Relevanz, da sich im schulischen Alltag immer wieder Herausforderungen rund um Begehren, Körperlichkeit und Sexualität stellen, zum Beispiel durch Dickpics an der Tafel, homofeindliche Beschimpfungen, grenzüberschreitendes Verhalten oder Beratungsbedarf von Schüler*innen. Lehrpersonen sind wichtige Ansprechpersonen und Modelle im Umgang mit Sexualität.

Der Grundsatzerlass Sexualpädagogik des BMWF (2015) ist eine Einladung bzw. Aufforderung, Sexualität auf zeitgemäße, qualitätsvolle und umsichtige Weise im Unterricht zu behandeln, und reagiert damit auf das Recht aller Kinder und Jugendlicher auf Wissen und Information sowie auf Schutz vor Gewalt und Diskriminierung.

Auch im digitalen Zeitalter ist die Schule für viele Kinder und Jugendliche noch immer ein wichtiger Ort sexueller Bildung, die wissenschaftsbasierte Information und kritische Auseinandersetzung und Reflexion ermöglichen kann. Doch obgleich diese Aufforderung schon seit 50 Jahren gilt, findet Sexualpädagogik lang nicht so umfassend statt, wie es sinnvoll und nötig wäre, um die sexuelle Entwicklung an das jeweilige Alter angepasst entsprechend zu begleiten.

Daher gilt es neben der Lehrer*innenbildung auch die Ressourcen für die Arbeit externer Sexualpädagog*innen an Schulen auszubauen. Der Bedarf und das Interesse der Schulen ist vorhanden, doch bisweilen fehlt es den Vereinen wie auch den Schulen an finanziellen Mitteln.

Seit der Einführung des Unterrichtsprinzips wurden zahlreiche sexualpädagogische Vereine, Fachstellen und Institute gegründet, die Expertise aufgebaut haben, und wichtige engagierte Arbeit leisten. Diese gilt es zu würdigen und weiterzuentwickeln, insbesondere durch spezifische gewidmete Budgettöpfe, durch Professionalisierungsinitiativen wie Supervision und Fortbildung, sowie auch durch Forschung, professionelle Vernetzung und Kooperation.

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass es im Sinne des Unterrichtsprinzips und der Kinderrechte wichtig ist, die sexualpädagogische Arbeit über Workshops mit Schulen hinaus auszuweiten: Schulen haben etwa Bedarf an Beratung, interner Fortbildung und Unterstützung bei der Entwicklung von sexualpädagogischen und gewaltpräventiven Konzepten oder Schwerpunkttagen.

Sexuelle Bildung ist nun schon erfreulich lange anerkannter und wichtiger Teil des Bildungsauftrages von Schulen. Die zunehmende Professionalisierung im Bereich der Sexuellen Bildung leisten einen wichtigen Beitrag zu Persönlichkeitsbildung, Gesundheitsbildung, politische Bildung, dem Schutz vor Diskriminierung und Prävention von Gewalt und Ausbeutung in der Schule und trägt damit wesentlich zur Sicherung der Kinderrechte bei.

Der schulischen Sexualpädagogik sollen nun endlich auch die Ressourcen zukommen, die nötig sind, um den Grundsatzerlass in allen Schulen und für alle Kinder und Jugendlichen entsprechend umzusetzen.

Aktuelle Presseaussendung der Plattform Sexuelle Bildung